HANNOVER (gl). Die niedersächsische Mediensucht-Fachstelle Return erhält seit diesem Jahr keine Unterstützung mehr von der Stadt Hannover. Die Einrichtungsleitung sieht sich als Opfer einer Kampagne.
Return finanziert sich aus verschiedenen Quellen. Dazu gehören etwa die Region Hannover und das Land Niedersachsen. Von 2013 bis 2015 zahlte auch die Stadt Hannover. Seit 2016 fließt jedoch von dort kein Geld mehr an die – laut Return – einzige Anlaufstelle für Pornografiekonsum / Onlinesexsucht in Hannover und Region. Einrichtungsleiter Eberhard Freitag vermutet dahinter eine Kampagne von Anhängern der umstrittenen „Sexualpädagogik der Vielfalt“ – so lautet der Titel eines 2008 veröffentlichten Sachbuchs, das seit Erscheinen der zweiten Auflage in die Kritik geraten ist. Neben der üblichen Aufklärung werden darin auch praktische Übungen vorgeschlagen, die in Presseartikeln kritisiert bzw. in Frage gestellt wurden. Häufig als Beispiel wurde eine Schüler-Übung angeführt, einen „Puff für alle“ zu errichten, der die Bedürfnisse eines „weißen heterosexuellen Mannes“ ebenso erfülle wie die einer „les-
bischen Trans-Frau“ (s. SZ Magazin 49/2014).
Die Stadt habe ihm noch im Juli 2015 eine Weiterfinanzierung in Aussicht gestellt, erläutert Freitag weiter, im Oktober 2015 dann jedoch mitgeteilt, aufgrund einer Haushaltskonsolidierung nicht weiter fördern zu können. Laut der Pressestelle der Landeshauptstadt habe das Auslaufen der Förderung nach drei Jahren dagegen von vornherein festgestanden. Sozialausschuss-Sprecherin Dr. Gudrun Koch betont, die Finanzierung sei nicht etwa gestrichen, sondern lediglich nicht verlängert worden. Bei begrenzten Mitteln müsse stets eine Abwägung getroffen werden. Dabei gehe es auch um Zuständigkeiten, Zielgruppen und die Fragen: Was ist eine kommunale Aufgabe? Wie verändern sich Schwerpunkte? Return habe sich mit der Sexualerziehung neue Aufgaben gestellt. Sie glaube durchaus, dass die Fachstelle gute Arbeit macht. Und: Es sei der Einrichtung unbenommen, jedes Jahr einen neuen Antrag zu stellen. Nun fördere die Stadt jedoch stattdessen nachbarschaftliche Unterstützungsstellen, die existenziell gefährdet waren.
„Für Return fallen dadurch 35.000 Euro pro Jahr weg“, so Einrichtungsleiter Freitag – etwa ein Viertel der Gesamtmittel. Auch da das Arbeitspensum der Fachstelle wegen großer Nachfrage in den vergangenen Jahren stark zugenommen habe, sei er von einer weiteren Unterstützung ausgegangen. Die Schwerpunkte hätten sich bei Return seit der Eröffnung der Einrichtung nicht verändert. Nach wie vor beträfen zwei Drittel der Arbeit den Bereich Computerspielsucht, ein Drittel den Bereich Pornografie. Das Thema Pornografie/Sexualerziehung sei allenfalls stärker von der Presse aufgegriffen worden. Um weitermachen zu können, ohne Personal entlassen zu müssen, sei Return nun verstärkt auf Spenden und Benefizveranstaltungen angewiesen. Bei Return gebe es aktuell drei hauptamtliche Mitarbeiter, zwei ehrenamtliche sowie eine 450-Euro-Stelle.
„Wir wissen, dass der Arbeitskreis Sexualpädagogik & AIDS-Prävention gegen uns arbeitet“, so Eberhard Freitag. In diesem Arbeitskreis sind Institutionen aus der Region Hannover vertreten. Stein des Anstoßes sei vor allem das von Return herausgegebene Praxisbuch „Fit for Love?“. Dies setzt sich auch mit der Lehre und Methodik der „Sexualpädagogik der Vielfalt“ auseinander und widmet ihr seit seiner zweiten Auflage sogar ein gesondertes Kapitel. Einige Vertreter dieser Lehre befürworteten den Konsum von Pornografie auch durch Jugendliche und setzten „Scham- und grenzverletzende Methoden“ im Schulunterricht ein, was die Autorin des Praxisbuchs kritisiert. Diese Kritik werde nun verwendet, um dem Buch und der Fachstelle Return eine bestimmte Ideologie zu unterstellen.
Im August 2015 habe das niedersächsische Sozialministerium Return aufgefordert, auf ein Eingabeschreiben des Arbeitskreises zu reagieren. Diese Eingabe sei auch an die anderen Hauptförderer Stadt und Region gegangen und mit der Aufforderung verknüpft gewesen, die Finanzierungswürdigkeit von Return zu prüfen. „Der Arbeitskreis untermauerte seine Forderung mit Unterstellungen und vermeintlichen Zitaten aus dem Praxisbuch, die dort nirgends zu finden sind“, so Freitag. „Sämtliche in der Eingabe enthaltenen Vorwürfe waren unbegründet“, sagt sie. Der Einrichtungsleiter glaubt, eine Beeinflussung von politischen Entscheidern habe letztendlich dazu geführt, dass seine Einrichtung nicht weiter von der Stadt gefördert wird.
In dem Eingabeschreiben wird dem Praxisbuch etwa vorgeworfen, Einrichtungen zu diskreditieren und Gender-Mainstreaming, also Geschlechtergleichstellungs-Strategien und Vielfalt, abzulehnen sowie Schwarz-Weiß-Denken zu betreiben. „Wir werden auf subtile Weise in die homophobe und rechte Ecke gestellt“, so Freitag. Dabei stehe das Praxisbuch gerade auch für Toleranz und Gleichberechtigung. Es setze sich inhaltlich mit schriftlich formulierten Positionen auseinander – auch von im Arbeitskreis vertretenen Beratungsstellen wie etwa Pro Familia. „Ein völlig normaler Vorgang“, so Einrichtungsleiter Freitag, „und nun werden hinter unserem Rücken unwahre Behauptungen über uns und das Buch verbreitet.“
So kreide der Arbeitskreis dem Werk auch an, unwissenschaftlich erarbeitet worden zu sein und auf veralteten Quellen zu beruhen. Dabei zeige schon ein Blick ins mehrere Seiten umfassende Literaturverzeichnis, dass rund 150 Quellen verwendet wurden, darunter auch zahlreiche aktuelle Studien. Ulf Gronau, der Leiter von Pro Familia Hannover, teilte auf Nachfrage mit, seine Institution habe sich entschieden, sich pressemäßig nicht zum Thema zu äußern. Der Arbeitskreis als solcher ist ausschließlich über ein Postfach erreichbar, Presseanfragen werden auf den Sitzungen des Arbeitskreises geklärt. Da der Termin für das nächste gemeinsame Treffen nach Redaktionsschluss liegt, wird der EPPENDORFER in der kommenden Ausgabe auf eine Stellungnahme des Arbeitskreises zurückkommen.
Eberhard Freitag hatte eine Petition zum Erhalt der Förderung durch die Stadt angestrengt, die laut Return 2370 Personen unterzeichnet haben.
Weitere Informationen über die Fachstelle unter www.return-mediensucht.de