Regionale Versorgungsverpflichtungen
und telefonischer Krisendienst

Der lang erwartete Hamburger Psychiatriebericht ist umfassend – immerhin 186 Seiten dick – und dokumentiert Hamburger Strukturen und Angebote der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung. Zudem kündigt er einen Versorgungsausbau jenseits zusätzlicher Klinikbetten oder -plätze an. Es soll mehr hochstrukturierte Einrichtungen geben und an verbindlicheren, regional verpflichtenden Kooperationen gearbeitet werden, was modellhaft in Harburg erprobt wird. Ein schnellerer Zugang zur Behandlung in Krisensituationen soll über einen telefonischen Krisendienst gebahnt werden. Auch in eine bessere Versorgung von Flüchtlingen soll konkret investiert werden. 

Eigentlich hat sich vieles positiv entwickelt, insgesamt habe sich die Situation der meisten schwer und chronisch erkrankten Menschen verbessert, so die Autoren. Probleme und mangelnde Personenorientierung sowie fehlende Kontinuität werden v.a. auf das System (fragmentierte Finanzierung, Steuerungsmankos) zurückgeführt. 

Eigentlich ist die Stadt mit rund 160 Prozent mit niedergelassenen Psychotherapeuten überversorgt, weist nach Berlin und Bremen den höchsten Versorgungsgrad auf. Auch Nervenärzte sind theoretisch mehr als genug vorhanden. Dennoch gibt es bekanntlich Engpässe und oft monatelange Wartezeiten auf einen ambulanten Therapieplatz. 

 

Zwangsunterbringungen kontinuierlich gestiegen

Und es gibt eine kontinuierlich angestiegene Zahl an Zwangsunterbringungen nach PsychKG – von unter 1500 in 1980 über 3000 in 2010 auf zuletzt 4000 im Jahr 2017. Parallel stiegen die Fallzahlen in den Kliniken deutlich, während die Verweildauern deutlich gesunken sind.Der Anteil öffentlich-rechtlicher Unterbringung sei auch im Vergleich zu anderen Großstädten stark gestiegen.  Städte mit einem niedrigschwelligen Krisenangebot auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten würden geringere Steigerungsraten aufweisen, heißt es zur Erklärung, warum nun doch zumindest ein telefonischer Krisendienst eingeführt werden soll.  

Koordiniert vom Sozialpsychiatrischen Dienst (SpD) des Bezirksamtes Altona, mit sozialpädagogischen Honorarkräften betrieben, soll der Dienst auch Termine in Psychiatrischen Institutsambulanzen (PIA), Tageskliniken, Kliniken, SpDs bzw. bei Eingliederungshilfe-Trägern am nächsten Werktag vermitteln. Durch nachgehende Maßnahmen soll „nach Möglichkeit“ sichergestellt werden, dass die Hilfe suchende Person „im System angekommen“ ist. Sollte eine Deeskalation der Krise telefonisch nicht möglich sein, werde die Einbeziehung des Psychiatrischen Notdienstes geprüft, heißt es ergänzend. Die Arbeit des Krisentelefons soll evaluiert werden, um „nach ca. drei Jahren“ zu entscheiden, ob das Angebot angenommen wird und ausreichend ist.

Betten sollen erklärtermaßen keine mehr dazukommen. Dabei ist die Zahl der aus der Psychiatrie entlassenen Fälle von 15.986 Fällen im Jahr 2005 auf 22.519 Fälle im Jahr 2015 gestiegen. Das entspricht 41 Prozent Steigerung (Bundesweit nur ca. 16 Prozent).  

Als gescheitert erklärt wird der Versuch, über die Einrichtung von vier „Zentren für Seelische Gesundheit (ZSG)“  und durch Ausweisung von zusätzlichen Tagesklinik-Standorten alternative Versorgungs- und Finanzierungsmodelle im klinischen Bereich zu etablieren, hier konnten keine Einigungen erzielt werden.  Hamburg hofft nun u.a. auf Umsetzung von Modellen stationsäquivalenter Behandlung (STÄB) seitens Hamburger Klinikanbieter. Die Ambulante Sozialpsychiatrie (ASP) wird positiv bewertet, wenngleich „ein Augenmerk“ auf die „regional ausgewogene Verteilung“ von 120 Begegnungsstätten zu legen sei. 

Der Mangel an Plätzen für Menschen mit Unterbringungsbeschluss werde auch durch weitere acht geplante Plätze beim Rauhen Haus nicht behoben, hier wird auf zusätzliche dezentrale Plätze gesetzt,  die, integriert in vorhandene Angebote Hamburger Träger, geschaffen werden sollen.  Weitere Eckpunkte der geplanten künftigen Entwicklung: Der Abschluss einer regionalen, für Hamburg beispielgebenden Vereinbarungs-gestützten Kooperation im Bezirk Harburg wird noch im 1. Halbjahr 2019 angestrebt. Der sozialpsychiatrische Dienst soll personell aufgestockt werden, zur Betreuung Jugendlicher im Grenzbereich Jugendhilfe und Jugendpsychiatrie wird derzeit eine neue Einrichtung geplant. 

Investiert wird auch in den Bereich Migration, um Menschen mit Migrationshintergrund besser zu erreichen. Sie sind in den meisten ambulanten und teilstationären Versorgungsangeboten unterrepräsentiert und in geschlossenen Bereichen und der Forensik überrepräsentiert. Bis Sommer sollen Fördermittel bis zu einer Million Euro für ein koordinierendes Zentrum für die Beratung und Behandlung von Folteropfern und traumatisierten Flüchtlingen vergeben werden. Die Förderung des Dolmetscherpools wird fortgeschrieben, er wird mit bis zu 250.000 Euro bis Ende Juni 2020 unterstützt. 

Zahlen und Daten 

Es gibt in Hamburg 1621 Betten sowie 29 psychiatrische Tageskliniken mit 605 Behandlungsplätzen, sieben Krankenhäuser mit speziellen Stationen und Tageskliniken für Gerontopsychiatrie sowie fünf Kinder- und Jugendpsychiatrische Abteilungen mit 217 Betten und sieben Tageskliniken mit 74 Plätzen. Im Hamburger Maßregelvollzug gibt es 292 stationäre Behandlungsplätze auf 18 Stationen am Standort der Asklepios Klinik Nord Ochsenzoll.  

Innovation in der Aufsichtskommission

Eine Innovation gibt es bei der Aufsichtskommission (Besuchskommission): Hier wurde erstmals seit Inkrafttreten des HmbPsychKG (Hamburgisches Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten) mit Reiner Ott ein Psychiatrie-Erfahrener aufgenommen.

 A. Hinrichs

Download des gesamten Berichts unter: https://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/12283194/2019-03-08-bgv-psychiatrie-bericht/