Sexuelle Belästigungen von Pflegekräften in Krankenhäusern sind keine seltenen Einzelfälle. Je jünger das Personal ist, desto größer ist das Problem mit Patienten, sagt ein Krankenpfleger aus Hamburg. Das Thema sei auf seiner Station allgegenwärtig.
Als Julian Schmidt (Name geändert) das erste Mal auf der Arbeit sexuell belästigt wurde, war er im Nachtdienst. Der Krankenpfleger machte seinen Rundgang auf der geriatrischen Station der Hamburger Klinik, eine Patientin wartete schon auf den damals 25-Jährigen: Sie lag nackt und mit aufgeschlagener Decke in ihrem Bett. Die Mittsechzigerin sagte ihm, so erzählt Schmidt es im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Schön, dass Sie heute Nachtdienst haben. Ich habe schon nach Ihnen gefragt.“ Schmidt ging aus dem Zimmer. „Ich wusste gar nicht, wie ich reagieren sollte“, sagt der 31-Jährige rückblickend.
Auch an die zweite offensichtliche sexuelle Belästigung erinnert sich Schmidt noch genau: Eine Patientin drängte ihn, sie sexuell zu befriedigen, als er sie intim wusch. Sie habe ihn aufgefordert, sie „intensiver“ und „richtig“ zu waschen und dabei mit dem Auge gezwinkert, erzählt Schmidt. „Ich war nicht angewidert, aber mir war klar, dass die Frauen meine Arbeit sexualisiert haben“, sagt er.Nich
Sexualisierte Gewalt gegen Pflegekräfte und auch Heilerzieherinnen und Heilerzieher kommt nicht selten vor. In einer Befragung der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege von 2021 gab fast jeder zweite Beschäftigte in Pflegeheimen, Pflegediensten, Krankenhäusern und Werkstätten für Menschen mit Behinderungen an, im vergangenen Jahr mindestens einmal auf sexualisierte Weise berührt worden zu sein. 63 Prozent der Befragten berichteten außerdem, nonverbal – etwa durch Entblößen – belästigt worden zu sein. Über zwei Drittel der Befragten sagten, dass Patienten ihnen intime Fragen gestellt hätten.
Subtilere Belästigungen wie anzügliche Sprüche oder ein Pfiff kämen im Alltag häufig vor, sagt Schmidt, der seit zehn Jahren als Krankenpfleger tätig ist. Er findet, dass sexuelle Belästigung und Gewalt „allgegenwärtige Probleme“ in Kliniken sind. Sie träfen vor allem jüngeres Pflegepersonal.
Kommt es auf Schmidts Station zu einem Vorfall, ist der Beschäftigte aufgefordert, ihn der Pflegeleitung zu melden. Die Pflege des Patienten übernimmt dann ein Kollege, ein Arzt verwarnt den Patienten. Zeigt dieser keine Einsicht, werde er auf eine andere Station verlegt oder sogar der Klinik verwiesen, erklärt Schmidt. Zusätzlich könnten die Beschäftigten den Vorfall im Intranet melden.
Der Gesundheitskonzern Helios, einer der größten privaten Klinikbetreiber in Deutschland, teilte auf Anfrage mit, dass sexuelle Belästigung sehr ernst genommen werde. „Es handelt sich hierbei um Straftaten“, betonte ein Sprecher. In den Helios-Kliniken können sich die Beschäftigten an eine Ombudsperson wenden. Sie nehme als „unabhängige und neutrale Stelle Hinweise von Helios-Mitarbeitenden entgegen, berät zu möglichen Fragestellungen und führt die Kommunikation mit dem Hinweisgeber bis zum Abschluss der Angelegenheit“.
Nach der Auffassung der Pflegewissenschaftlerin Anja Bergman sollte es in allen Kliniken zentrale Ansprechpersonen für den Umgang mit sexualisierter Gewalt geben. „Es gibt für Betroffene in dieser Situation nichts Frustrierenderes, als sich hilfesuchend an eine Ansprechperson zu wenden und festzustellen, dass sie nicht weiterhelfen kann“, sagt Bergmann, die an der Uni Köln im Projekt „PEKo“ zur Gewaltprävention in der Pflege den auf die Krankenhäuser spezialisierten Teil leitet.
Für den Krankenpfleger Julian Schmidt ist die Kommunikation im Unternehmen entscheidend: Pflegekräfte müssten die Vorfälle an Leitungspersonen weitergeben können, damit es zu Konsequenzen für die Täter kommen kann. Auf seiner Station sei das Thema kein Tabu mehr. „Wir sind ein starkes Team, in dem wir uns gegenseitig unterstützen.“ (epd)