„Der Goldene Handschuh“ von Heinz Strunk beschreibt auf unheimliche, da so authentisch wirkende Art das grausame Leben und Töten des Serienmörders Fritz Honka und seiner vier weiblichen Opfer. Der Leser wird Teil eines erschütternden Elends-Milieus und berührt den Boden der Gesellschaft.
Den Goldenen Handschuh gibt es wirklich. Die Kaschemme liegt am Hamburger Berg in St. Pauli und hat bis heute rund um die Uhr geöffnet. Seit damals scheint sich nicht viel getan zu haben. Das Damals beschreibt Strunk so: Es gibt einen vorderen und einen hinteren Teil. Hinten, da wo „die Schimmeligen“ sitzen, sind drei Tische, vorn vier. Getrunken wird Fako, Fanta-Korn im Verhältnis 1:1. „Manche sitzen zwanzig, dreißig Stunden hier. Einmal hing einer zwei Tage und Nächte bewegungslos auf seinem Hocker, der war schon tot, wegen des Schichtwechsels hat aber keiner was gemerkt.“
„Fiete“ nennen sie Honka hier. Dieser kam in Leipzig als drittes von zehn Kindern und Sohn eines Zimmermanns und Alkoholikers auf die Welt. Es folgten: Kinder-KZ, Heimaufenthalte, Flucht in den Westen, Misshandlungen, Hilfsarbeitertätigkeiten, zerbrochene Ehe, früher schwerer Alkoholismus, schließlich Umzug in eine kleine Dachwohnung in Hamburg-Ottensen. Der kleine, schielende Mann hält sich an ältere Gelegenheitsprostituierte. Seine Opfer sind kaputte, kriegstraumatisierte, einsame Seelen, ohne Angehörige, die sie vermissen könnten. Frauen wie Gerda, die Strunk so beschreibt: „Gerdas eingefallener Mund arbeitet gegen die Speichelflut. Eine Säberalma. Die heißen so, weil sie ihren Speichelfluss nicht mehr unter Kontrolle haben. Der Alkohol hat das Hirn zerfressen, die Nerven zerstört, und irgendwann rinnt ihnen dann der Speichel aus den Mundwinkeln. Erna, Inge, Herta, Ilse. Die anderen Almas, auch wenn sie noch so abgerissen sind, benutzen noch irgendwas. Lippenstift, Lidschatten, Rouge. Gerda nicht. In der Musikbox läuft „Du sollst nicht weinen“ von Heintje.“
Es gibt noch einen anderen Erzählstrang. Eine Reederdynastie mit Sitz in den Elbvororten. Auch hier wohnt menschliche Verrohung. Und am Ende landet auch ein Reederspross im „Handschuh“. Das Elend haust auch in den höheren Ständen, „aber es drückt sich da anders aus“, erklärte dazu der Autor in einem Interview.
Strunk hat nicht nur Stunden über Stunden in der Kneipe recherchiert und eigene Worte wie „Schmiersuff“ kreiert, er hat auch Gerichtsakten studiert. Der Prozess gegen Honka machte damals viele Schlagzeilen. Verteidigt wurde er von Staranwalt Rolf Bossi, der ihn als einen durch Alkoholmissbrauch völlig zerstörten Menschen bezeichnete, bei dem eine „schwere seelische Abartigkeit“ vorliege. Die Zerstückelung der Leichen sei aus einer „nekrophil-sadistischen Raserei“ heraus geschehen. In der Urteilsbegründung ist von „Lebens- und Persönlichkeitsverwahrlosung“ die Rede.
Im Maßregelvollzug in Ochsenzoll fungierte Honka als Schuhmacher. 1981 schreibt der behandelnde Arzt: Honka verhalte sich äußerlich angepasst, doch eine therapeutische Beziehung sei nicht herstellbar, Honkas Haltung zum Tatgeschehen sei unkritisch. „Er ist eine hochabnorme Persönlichkeit mit sexueller Devianz“. Später verbringt er noch ein paar Jahre unter anderem Namen in einem Pflegeheim an der Ostsee – bis er wegen Wahnvorstellungen 1998 nach Ochsenzoll zurückverlegt wird, wo er kurz darauf stirbt.
Von einer großen und zugleich humanen Zumutung sprach der FAZ-Rezensent Jürgen Kaube. „Jedenfalls dann, wenn zu bedeutender Literatur gehört, den Blick von nichts abzuwenden.“ Wohl wahr.
Hart, aber empfehlenswert!
Anke Hinrichs
Heinz Strunk: „Der Goldene Handschuh“, Roman, 256 Seiten, ISBN: 978-3-644-05081-5, Rowohlt-Verlag, Hamburg: 2016, 19,95 Euro.