Der Cannabis-Hype
Eine Droge macht Karriere: Nachdem weltweit immer mehr Länder den Konsum von Cannabis für medizinische Zwecke genehmigen, die Droge in den USA sogar in mehreren Ländern ganz legalisiert wurde – was Kanada für Sommer 2018 plant – ist seit einiger Zeit auch ein wirtschaftlicher Hype um die Pflanze zu beobachten. Derweil mahnen Experten vor dem Hintergrund mangelnder Forschungsergebnisse vor einer Überschätzung des medizinischen Nutzens.
BERLIN (hin). Einen Boom erlebt Cannabis derzeit auch in den Medien, lässt sogar neue Medien entstehen. So wie „Leafly.de“, ein – laut Selbstdarstellung – „unabhängiges Onlineportal“, das sich zur Aufgabe gestellt hat, „fachlich kompetent über den Umgang und Einsatz von Cannabis als Medizin in Deutschland zu informieren“. Der Informationsbedarf scheint groß, die Lage unübersichtlich. Seit März dürfen Ärzte eine Cannabistherapie auf Betäubungsmittelrezept verschreiben. Die Kostenübernahme muss von der Kasse im Einzelfall genehmigt werden. Doch es gibt in diesem Bereich noch großen Forschungsbedarf und Unwissenheit. Es mangelt an Evidenz. Als gesichert gilt, dass Cannabisblüten bei Spastiken helfen, die bei Multipler Sklerose und bei Nervenverletzungen auftreten. Cannabis soll darüber hinaus Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapien unterdrücken und den Appetit bei Aids anregen sowie bei chronischen Schmerzen helfen. Befürworter sehen daneben noch Hinweise auf diverse andere Einsatzgebiete, auch im psychiatrischen Bereich: vom Tourette-Syndrom und starken Zwangsstörungen bis hin zu Symptomen posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) sowie Depressionen (s. http://www.cannabis-med.org, Internationale Arbeitsgemeinschaft für Cannabinoidmedikamente). Der medizinische Nutzen werde überschätzt, warnte indes im Januar die Nationale Wissenschaftsakademie in den USA nach Auswertung von 10.700 wissenschaftlichen Publikationen vor zu großer Euphorie (s. Heilsamer Rausch, Geo 6/2017). Nur für einige wenige Leiden wie eben MS und chronische Schmerzen gebe es stichhaltige Beweise. In den Vereinigten Staaten, wo Cannabis inzwischen in 28 Bundesstaaten zu medizinischen Zwecken genommen werden darf und acht Staaten den Konsum sogar ganz legalisiert haben, steigt dem Geo-Bericht zufolge der Verbrauch in der Altersgruppe über 65 besonders stark an – „weil Cannabis unter Senioren zunehmend als Mittel gegen Altersgebrechen gilt“. Besonders viele Erfahrungen mit dem Einsatz von Cannabis in Altenheimen hat im übrigen Israel gemacht, insbesondere auch bei Bewohnern mit PTBS-Symptomen, wie eindrücklich eine noch in der ARD-Mediathek abrufbare Reportage („Cannabis im Altenheim“) zeigt. Jedenfalls ist der Boom da. Viele Hoffnungen wurden geweckt. Die ZEIT gab in ihrer Online-Ausgabe („Cannabis als Therapie: Hohe Erwartung mit Fragezeichen“) Beobachtungen einer Berliner Fachpraxis für Schmerztherapie des Klinikkonzerns Vivantes wieder: Es wurde von einem Ansturm von Patienten berichtet, die gerne Cannabis auf Rezept verordnet haben möchten. Es gebe sehr viele Anfragen, denen man gar nicht gerecht werden könne, heißt es dort. Die Menschen gäben an, sie litten unter chronischen Schmerzen und hofften auf eine Cannabis-Verordnung… Eine Art Goldgräberstimmung scheint sich derweil schon seit einiger Zeit im Geldmarkt breit zu machen. Unter Überschriften wie „Dope fürs Depot“ oder „Nach dem Gold-Rush nun der Green-Rush“ wird im Netz über den Milliardenmarkt Marihuana und die Aussichten von Cannabis-Aktien spekuliert. Gewinne hängen oft mit Legalisierungsentscheiden zusammen. Besonders hoch im Kurs bei Experten: Kanadas pharmazeutische Cannabis-Aktien. Laut wallstreet-online („Warum kanadische Cannabis-Aktien die Outperformer von 2017 werden“) habe die Mehrheit von Kanadas pharmazeutischen Cannabis-Aktien 2016 Gewinne von weit über 100 Prozent verbuchen können …