Der Wunsch psychisch kranker oder behinderter Menschen nach einer Betreuung durch einen engen Familienangehörigen darf nicht übergangen werden. Es gehöre zum Selbstbestimmungsrecht einer betreuungsbedürftigen Person, wenn diese ihre Mutter wegen der familiären Verbundenheit als Betreuerin weiter wünscht, entschied das Bundesverfassungsgericht in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss (AZ: 1 BvR 413/20). Gibt es Zweifel, ob die Familienangehörige als Betreuerin geeignet ist, müssten vor einer Absetzung erst einmal konkrete Hilfsangebote gemacht und so dem Wunsch der betreuungsbedürftigen Person Rechnung getragen werden, betonten die Karlsruher Richter.
Im Streitfall ging es um eine 1992 geborene, an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie erkrankten Frau aus dem Raum Neubrandenburg. Ihre Mutter wurde 2014 als Betreuerin für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung eingesetzt. Nach mehreren kurzen Aufenthalten in der Psychiatrie empfahl ein vom Amtsgericht beauftragter Gutachter eine für mindestens sechs Monate geschlossene Unterbringung. Ein Orts- und Betreuerwechsel solle der Frau nicht zugemutet werden.
Die behandelnden Ärzte sprachen sich jedoch für einen Betreuerwechsel aus – gegen den Wunsch von Tochter und Mutter. Es bestehe eine schädliche „innerfamiliäre Dynamik“. Das Amtsgericht entließ die Mutter als Betreuerin und bestellte eine Berufsbetreuerin. Die Tochter wurde in einer 120 Kilometer entfernt gelegenen Psychiatrie untergebracht. Gegen die vom Landgericht bestätigte Entlassung als Betreuerin legte die Mutter Verfassungsbeschwerde ein.
Mit der Entlassung als Betreuerin wurde die Mutter in ihrem Familiengrundrecht verletzt, entschied nun das Bundesverfassungsgericht. Dazu gehöre auch, dass bei der Bestellung einer Betreuerin Familienangehörige bevorzugt berücksichtigt werden – vorausgesetzt, es liegt tatsächlich eine familiäre Verbundenheit vor.
Das Landgericht habe außerdem den Wunsch der Tochter nicht ausreichend gewürdigt und damit ihr Selbstbestimmungsrecht verletzt. Auch blieb das gerichtlich angeordnete Gutachten, welches sich gegen einen Betreuer- und Ortswechsel ausgesprochen hatte, unberücksichtigt. Das Landgericht muss nun über die Betreuung neu entscheiden. (epd)