Viele Menschen blicken mit Sorge auf das stark reduzierte Weihnachtsfest in der Corona-Krise. Sie haben Angst davor, das Fest allein oder nur im kleinsten Kreis zu verbringen. Der Psychologe, evangelische Theologe und Lebenshilfe-Autor Hans-Gerhard Behringer macht Mut. Er gibt Tipps, wie trotz aller Begrenzungen eine gute Feier gelingen kann. “Vielleicht bleibt dieses Weihnachten als das friedlichste, innigste und ruhigste Weihnachtsfest unseres Lebens in Erinnerung”, sagte der im schweizerischen Davos lebende Autor und Coach dem Evangelischen Pressedienst (epd).
epd: Weihnachten ist das Familienfest schlechthin. In diesem Jahr werden die Menschen aufgrund der Corona-Beschränkungen nur im kleinsten Kreis feiern können. Welchen Rat haben Sie, damit das Fest dennoch gelingt?
Behringer: Wir müssen weg von der Frage: Was geht zurzeit nicht? Wir müssen uns vielmehr fragen: Was geht? Das Motto lautet: Anders feiern! Weihnachten kann vor allem ein Fest gegen die Angst vor dem Virus werden, wenn wir die Regeln einhalten und wenn wir Dinge tun, die uns stärken, die uns aufrichten. Vor allem sollten wir die ruhigere Zeit nutzen, um nachzusinnen: Was tut mir eigentlich gut? Das könnte eine besondere Herausforderung an den diesjährigen Festtagen sein. Wir sollten den Lockdown nutzen und nach dem suchen, was sonst leicht untergeht.
epd: Weihnachten ist ja nicht immer für alle ein friedvolles Fest. Oft kommt es an den Feiertagen zu Konflikten und Streit. Könnte das diesmal anders sein?
Behringer: Ja, dieses Weihnachten wird vielleicht besinnlicher, weniger hektisch, weil sich weniger Menschen treffen dürfen. Sonst kommen an Weihnachten Menschen zusammen, die sich sonst das ganze Jahr nicht sehen. Das kann nicht immer gut gehen. In diesem Jahr sollten alle Erwartungen an eine perfekte Feier bewusst reduziert werden. Konflikte werden dann möglicherweise gar nicht oder weniger auftreten. Meine Empfehlung lautet: Macht es kleiner! Statt einem mehrgängigen Menü mal nur Würstchen und Kartoffelsalat. Statt einer schrillen Nacht und hektischen Stunden wird es dann wieder eine ruhigere, wahrlich “stille Nacht”. Vielleicht kann man wieder zusammen singen oder die uralten Brett- oder Kartenspiele herausholen, vielleicht einander mal wieder richtig zuhören, bewusst wahrnehmen – und sogar Neues am anderen entdecken. Vielleicht bleibt dieses Weihnachten als das friedlichste, innigste und ruhigste Weihnachtsfest unseres Lebens in Erinnerung.
epd: Was ist aber zu tun, wenn es an Weihnachten doch wieder in der Familie knirscht?
Behringer: Natürlich kann sich vielleicht gerade in einem kleineren Kreis zeigen, dass man sich einander gar nichts mehr zu sagen hat. Als Psychotherapeut habe ich die berechtigte Sorge, dass manche Menschen sich an diesem Weihnachtsfest durch die besonderen Umstände eingesperrt fühlen, depressiv werden oder auch schlichtweg durchdrehen könnten. Noch Schlimmeres ist zu befürchten, dass sich in den Familien Gewalt entwickelt, vor allem auch gegen Kinder. Das war ja leider schon während des ganzen Jahres zu beobachten.
epd: Wie sollte man sich dann verhalten, vor allem als Außenstehender?
Behringer: In diesem Jahr ist noch viel mehr als sonst Solidarität und Achtsamkeit gefragt. Wir sollten genauer hinschauen: brennt beim Nachbarn kein Licht, obwohl er zu Hause ist? Gibt es eine lautstarke Auseinandersetzung, hört man Kinder weinen? Hier ist Zivilcourage gefragt. Man sollte sich trauen zu klingeln und fragen, ob alles in Ordnung ist. Man sollte Hilfe anbieten – mit allem Respekt und aller Vorsicht. Man kann sich auch frühzeitig eine Liste mit diversen Notrufnummern bereitlegen, für den Fall der Fälle. Die Menschen sollten in dieser Zeit ein Auge aufeinander haben.
epd: Was raten Sie Menschen, die Weihnachten allein verbringen müssen?
Behringer: Das ist für viele tatsächlich eine schwierige Herausforderung. Viele werden das jetzt erst mühsam lernen müssen angesichts dieser Notlage. Aber wir können unsere Zeit durchaus gut allein gestalten. Wir können vielleicht etwas Schönes lesen, in eine Kerze schauen und meditieren, schöne Musik hören und damit zufrieden und glücklich sein. Mit den digitalen Medien kann man sich mit Freunden, den eigenen Kindern oder Verwandten austauschen, sogar von Angesicht zu Angesicht. Wichtig ist, dass man in dieser Zeit auf sich achtet, dass man auch Gefühle wie Einsamkeit und Trauer zulässt, ohne sich davon erdrücken zu lassen. Man sollte das, was in so einer reizarmen Zeit nach oben gespült wird, in Worte fassen und laut ausdrücken. Das ist ein Heilmittel, das ich für mich entdeckt habe und viel empfehle. Das kann man im stillen Kämmerlein tun, oder auf einsamen Spaziergängen. Wichtig ist, alles laut auszusprechen. Das schafft Klarheit und unterbricht die Gedankenspirale.
epd: Abgesehen von den sehr realen und berechtigten Existenzängsten zahlreicher Selbstständiger und Geschäftsinhaber: Viele Menschen sind in der Corona-Pandemie getrieben von Sorgen und Furcht. Könnte sich das in der ruhigeren Weihnachtszeit und dem Jahreswechsel verstärken?
Behringer: Angst hat ja auch eine gute Funktion: Sie kann uns vorsichtiger machen. Auch die Angst vor dem Virus kann uns nützen, wenn wir dadurch rücksichtsvoller werden. Ich setze die Maske ja nicht nur für mich auf, sondern auch, um andere zu schützen. Das ist die gute Wirkung der Angst. Bei anderen wirkt die Angst allerdings so, dass sie in Abwehr, Protest und Leugnung umschlägt. Andere verschließen einfach die Augen vor der Wirklichkeit.
epd: Steckt da noch mehr dahinter?
Behringer: Ja, wenn man noch tiefer schaut, steckt hinter dieser Angst noch etwas anderes, etwas für viele Menschen sehr Bedrohliches. Unsere Ohnmacht angesichts der Pandemie löst bei vielen Trauer aus. Das Virus rät uns: gesteh dir ein, wir können nicht alles, sind nicht allmächtig! Diese unsichtbare Wirklichkeit zeigt uns Grenzen auf. Wir müssen uns eingestehen, dass wir zerbrechlich sind, unser Lebensglück nicht garantiert ist. Ich kann mir keine Tage geben, ich kann meine Gesundheit nicht wirklich sichern. Wir sind nicht Herr in unserem eigenen Haus. Diese Einsichten wären eine gute Basis für eine heilsame Bescheidenheit. Für Christen kann es ein Trost, Kraft und Lebensmut sein, in diesen Zeiten Halt im Glauben und in Gott zu finden.
epd: Welche Antworten hält das Weihnachtsfest für eine solche Krisenzeit bereit?
Behringer: Die Rituale und das reiche Brauchtum an Weihnachten sind eine alte Medizin gegen tiefliegende Ängste und Ohnmachtsgefühle – solange es sich nicht um wirkliche Depressionen handelt. Weihnachten wird ja als Lichterfest bezeichnet, weil es die dunkelste Zeit des Jahres erhellt. Wir sollten an Weihnachten nicht nur Geschenke austauschen, sondern auch neu lernen, dass jeder Tag ein Geschenk ist – gerade in dieser Zeit. Und noch wichtiger wäre, die von Weihnachten ausgehende Freude unser Leben prägen zu lassen. Wir sollten uns mehr in Dankbarkeit und Freudefähigkeit üben. Vielleicht könnten wir dieses Weihnachten zum Anlass nehmen, ein Danke- und Freudebüchlein zu führen. Dort können wir alle Dinge eintragen, die schön, freudig, stärkend und gut sind. Die gibt es auch trotz Corona. So könnte dieses Weihnachten ein Wendepunkt in Lebensgeschichten von Menschen und Familien werden.
Stephan Cezanne (epd)