Das Zusammenleben mit einem wegen Kindesmissbrauchs verurteilten Straftäter darf nicht automatisch zum teilweisen Sorgerechtsentzug führen. Das sei erst dann verhältnismäßig, wenn das Kind „nachhaltig gefährdet” ist, entschied der Bundesgerichtshof in Karlsruhe in einem Beschluss (AZ: XII ZB 408/18).
Im konkreten Fall zog die alleinerziehende Mutter im Mai 2016 zusammen mit ihren beiden Kindern, darunter ihre heute elfjährige Tochter, zu ihrem neuen Lebensgefährten. Dieser informierte die Mutter darüber, dass er wegen Kindesmissbrauchs zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden war.
Er hatte zwischen Mai 2009 und April 2013 mehrere Mädchen im Alter zwischen 10 und 13 Jahren dazu veranlasst, sich vor einer Internet-Kamera auszuziehen und ihm Intimbilder zuzuschicken. Laut Strafurteil wurde ihm jede Kontaktaufnahme zu Kindern und Jugendlichen über Internet-Plattformen untersagt.
Als nach anderthalb Jahren des Zusammenlebens das Familiengericht von der Verurteilung erfuhr, wurde der Mutter wegen Kindeswohlgefährdung das Sorgerecht teilweise entzogen. Die Tochter wurde in einem Heim untergebracht.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte die Entscheidung bestätigt. Zwar habe sich Gutachtern zufolge das Leben der Tochter seit der Beziehung der Mutter zu ihrem Lebensgefährten positiv entwickelt. Auch sei der Lebensgefährte „psychisch stabil” und kooperativ. Erneute Sexualstraftaten seien „sehr unwahrscheinlich”. Es gebe aber eine abstrakte Rückfallwahrscheinlichkeit von 10 bis 15 Prozent. Da die Mutter mit ihrem Lebensgefährten weiter zusammenbleiben wolle, seien wegen der Kindeswohlgefährdung der teilweise Sorgerechtsentzug und die Heimunterbringung gerechtfertigt.
Doch das sei nicht verhältnismäßig, entschied der Bundesgerichtshof. Zwar könne eine Kindeswohlgefährdung insbesondere bei einer sich verschlechterten familiären Lage nicht ausgeschlossen werden. Für einen Sorgerechtsentzug müsse das Kindeswohl aber „nachhaltig gefährdet” sein. Das sei nicht der Fall.
Zudem habe das Oberlandesgericht nicht geprüft, ob nicht die Heimunterbringung und Trennung von der Familie die Tochter leiden lässt. Das Kind erlebe die Unterbringung als „Bestrafung”. Die Familie habe anderthalb Jahre lang zusammengelebt, ohne dass etwas passiert sei. Der Lebensgefährte habe sich kooperativ gezeigt und sich in Therapie begeben. Statt einer Heimunterbringung seien weniger gravierende Maßnahmen möglich, etwa der regelmäßige Besuch eines Familienhelfers, der mögliche Veränderungen in der Familie überprüft. Das Oberlandesgericht muss nun neu über den Fall entscheiden. (epd)