Koalitionsvertrag mit Psychiatrie-Lücke – Abschied von Lauterbach

Der CDU-Politiker Tino Sorge (50) aus Magdeburg soll neuer Bundesgesundheitsminister werden. Darauf haben sich am Mittwoch Union und SPD verständigt. Das will die Ärztezeitung aus „gut informierten Kreisen“ erfahren haben. Sorge arbeitete nach einem juristischen Staatsexamen als Wirtschaftsanwalt und Unternehmensjurist. Dem Bundestag gehört er seit 2013 an. Er ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe Gesundheit und gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion.

Dem 144 Seiten starken Koalitionsvertrag – den die künftige Regierungskoalition heute präsentierte – ist zu entnehmen, dass die Krankenhauslandschaft aufbauend auf der Krankenhausreform der letzten Legislaturperiode weiterentwickelt werden soll. Die reformbedürftige Psychiatrie wird indes nicht in einem eigenen Punkt erwähnt. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) erklärte indes, dass der Vertrag dem Thema psychische Gesundheit einen hohen Stellenwert beimesse, diese generationenübergreifend betrachte und in der Arbeit aller Ressorts berücksichtigen wolle. „Wir begrüßen sehr, dass die Prävention psychischer Erkrankungen gestärkt werden soll und auch die Teilhabe und Rehabilitation psychisch kranker Menschen adressiert wird“, stellt DGPPN-Präsidentin Prof. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank fest.

Im Bereich der Behandlung psychisch kranker Menschen weise der Koalitionsvertrag allerdings Lücken auf. „Es ist gut und richtig, die ambulante psychotherapeutische Behandlung zu stärken. Allerdings reicht das für eine ganzheitliche Versorgung psychisch kranker Menschen nicht aus. Insbesondere schwer erkrankte Personen benötigen die fachärztliche psychiatrische Expertise sowie eine multiprofessionelle psychosoziale Versorgung – in der Facharztpraxis, der Ambulanz oder auch stationär im Krankenhaus. Wir bedauern, dass die Stärkung der Strukturen für die ambulante und stationäre psychiatrische und multiprofessionelle Behandlung nicht den gleichen Stellenwert im Koalitionsvertrag hat wie die ambulante Psychotherapie.


Offenbar liegen die Hoffnungen von Fachseite nun auf der angekündigten Fortsetzung der Krankenhausreform. „Wir sprechen uns hier für eine Umsetzung der meisten Empfehlungen der Krankenhauskommission aus“, sagt Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank. „Insbesondere eine Einführung von Globalbudgets, die ja bereits in Modellprojekten erprobt und positiv evaluiert wurde. Erfreut äußerte sich die wissenschaftlich-medizinische Fachgesellschaft zudem darüber, „dass das Deutsche Zentrum für Psychische Gesundheit” künftig verlässlich finanziert werden soll.”

Forschung soll verlässlich finanziert werden

Zum Thema Psychotherapie wird in dem Koalitionsvertrag an erster Stelle „niedrigschwellige Online-Beratung in der Psychotherapie und digitale Gesundheitsanwendungen“ genannt, mit denen Prävention sowie Versorgung in der Fläche und in Akutsituationen gestärkt werden sollen. Auch Kurzzeitzeittherapie soll gestärkt und eine Notversorgung eingeführt, das von der Ampel entworfene Suizidpräventionsgesetz umgesetzt werden. Es sollen wohnortnah Institutsambulanzen umgesetzt werden. Sowohl die Versorgung von Kindern und Jugendlichen als auch auf dem Land soll durch eine geänderte Bedarfsplanung verbessert werden. Auch die Finanzierung der Weiterbildung in der Psychotherapie wird im Vertrag vereinbart. Für Menschen mit myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom, Long- und PostCOVID und PostVac sollen Versorgung und Forschung gestärkt werden, wie genau, bleibt offen.

Uns was wird aus Cannabis? Im Wahlkampf hatte die Union verlangt, die Teil-Legalisierung von Cannabis zurückzunehmen. Jetzt steht dazu nur ein Satz im Vertrag: „Im Herbst 2025 führen wir eine ergebnisoffene Evaluierung des Gesetzes zur Legalisierung von Cannabis durch.“

Ein eigenes Unterkapitel widmet sich der Inklusion. Hier soll Barrierefreiheit gestärkt werden, ein Bundeskompetenzentrum für Leichte Sprache entstehen. Ansonsten liegt der Schwerpunkt auf Arbeit: die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung auf dem Allgemeinen Arbeitsmarkt soll vorangetrieben werden. „Dafür werden wir die einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber mit Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation und der Vermittlungstätigkeit der Bundesagentur für Arbeit besser vernetzen und die Schwerbehindertenvertretungen stärken“, heißt es dazu weiter. Die Durchlässigkeit „zwischen beruflicher Rehabilitation, Werkstätten für behinderte Menschen, Inklusionsbetrieben und allgemeinem Arbeitsmarkt und die Zugangssteuerung der Reha- Träger“ soll verbessert werden. Auch das – aktuell sehr niedrige – „Werkstattentgelt“ soll verbessert werden – wie wird nicht ausgeführt. Das gesamte System der Rehabilitation und Teilhabe soll im Sinne des Prinzips „Leistung aus einer Hand“ weiterentwickelt werden, wobei die spezifischen Bedarfe von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen „in den Blick genommen“ werden sollen … Den Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatungsstellen wird eine Weiterentwickelung und die Sicherstellung der Finanzierung zugesagt. (hin)

(Text wurde am 11.4. aktualisiert und ergänzt)