Zwischen Tod und Rockmusik: Sterbebegleitung bei Drogenabhängigen

BREMEN. Sich mit dem Leben zu beschäftigen, fällt vielen Menschen bereits schwer, die Auseinandersetzung mit dem Tod ist oft ein Tabu. Die Messe „Leben und Tod“ beschäftigte sich bereits zum siebten Mal mit dem Thema. Rund 3800 Fachleute aus Hospizarbeit, Seelsorge, Pflege sowie Schüler, Referendare und Interessierte aus ganz Deutschland besuchten hierzu Vorträge, Workshops und Ausstellungsstände auf dem Bremer Messegelände. Das diesjährige Motto: „Leben ist Vielfalt – Sterben auch!?“ rückte den Wandel zu einer diversifizierten Gesellschaft in den Mittelpunkt. Manche Menschen benötigen besondere Hilfen von Therapeuten und Einrichtungen. Drogenabhängige zum Beispiel. Oder Hinterbliebene.

Für all jene, die Sterbende begleiten, gilt es heute ganz unterschiedliche soziokulturelle Aspekte zu berücksichtigen. Menschen, die den Großteil ihres Lebens drogenabhängig waren, erfordern von begleitenden Therapeuten und Betreuern allerdings ein besonderes Fingerspitzengefühl, wie Jürgen Goldmann in seinem Vortrag: „Knockin‘ on Heaven’s Door“ schilderte. Der Sozialpädagoge berichtete aus seiner Arbeit in der Trauer- und Sterbebegleitung beim Bonner „Lighthouse“, einem Verein für ambulante und stationäre Hospizarbeit. Seit über 20 Jahren betreut der Verein in seinem ambulanten Wohnprojekt schwerpunktmäßig Menschen mit HIV/AIDS.

„Meistens sind dies Menschen, die über einen sehr langen Zeitraum illegale Drogen konsumiert haben“, erklärte Goldmann. Die Umsetzung klassischer hospizlicher Werte wie Selbstbestimmung, Lebensqualität und Würde bis zum Lebensende stelle hier eine besondere Herausforderung dar. „Das sind oft Menschen mit schweren chronischen, das Leben verkürzenden Erkrankungen und ärztlich attestiertem psychosozialem Betreuungsbedarf“, so Goldmann. Dennoch gelte auch für sie im Wohnprojekt die strenge Auflage, dass sie mindestens sechs Monate „clean“ oder bei Polamidon-/Methadonsubstitution frei von Beikonsum sein müssen.

Trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten seien die Bewohner vielfach dankbar, denn „das, was nach uns kommt ist nicht mehr viel – bis gar nichts“, weiß Goldmann. Das Angebot sei bundesweit nahezu einzigartig. „Wir haben überwiegend Leute, die lange bei uns bleiben und mit ihrem Leben nicht mehr alleine klarkommen“, betont der Sozialpädagoge. Daher ergäben sich mit ehrenamtlichen Betreuern und Therapeuten enge Beziehungen. Sie müssten sich frühzeitig mit den Möglichkeiten, aber auch Grenzen ihrer Arbeit auseinander setzen. Auch wenn der Zustand ihrer Klienten sich anfangs oft verbessere, träten immer wieder Krisen auf oder sie stürben irgendwann überraschend.

Auch für ihn sei es anfangs unverständlich gewesen, warum die Leute Drogen für ihre Lebensqualität bräuchten. Wichtig sei ein gemeinsames Hobby oder Ähnliches, was Betreuer und Betreute verbinde, wie in seinem Fall die Rockmusik. Im Rausch erlebten die Drogenabhängigen Gefühle von Freiheit, Glück, unerschütterlicher Stärke, sodass sie negative Folgen vergäßen. In Rocksongs, wie „Knockin‘ on Heaven’s Door“ von Bob Dylan, werde dieses Gefühl, aber auch die Nähe zum Tod thematisiert. Viele identifizierten sich damit. Wegen des jahrelangen Drogenkonsums erschwert sei oft die Schmerzbehandlung in der lindernden, palliativen Therapie: „Bei den Süchtigen sind Dosierungen nötig, die uns töten würden“, weiß Goldmann. Auch auf die reduzierten kognitiven Fähigkeiten durch den Drogengebrauch müsse man achten.

Eine Voraussetzung für den Umgang mit diesen Menschen sei die gegenseitige Akzeptanz, Toleranz, der Respekt vor den Betroffenen selbst in schwierigen Situationen. Betreuer müssten hier von Anfang an Grenzen setzen. Die Bewohner gingen oft in die Opferrolle, böten Tauschgeschäfte an und nutzten den Helfercharakter der Betreuer aus: „Manche ver-
wechseln betreutes Wohnen mit bedientes Wohnen“, scherzte Goldmann. Die notwendige Abgrenzung falle gerade den ehrenamtlichen Helfern recht schwer, daher müssten diese von Anfang an gut geschult werden.

Wie hilflos sich Helfer im Umgang mit dem Thema Trauer selbst fühlen und wie wichtig eine professionelle Schulung ist, verdeutlichte auch Thomas Weber, Geschäftsführer vom Zentrum für Trauma- und Konfliktmanagement (ZTK) GmbH, Köln. Der Diplompsychologe betreut Menschen, die Angehörige bei Katastrophen, Terroranschlägen oder infolge eines Suizids verloren haben. Er war nach Großereignissen wie dem Amoklauf in Winnenden oder dem Flugzeugabsturz in den französischen Alpen im Einsatz. „Für die Hinterbliebenen ist solch ein Tod ein Trauma und verändert von Grund auf das ganze Leben. Betroffen sind aber auch all die Helfer, Ärzte, Polizisten, Feuerwehrleute und Notfallseelsorger, die zu einem Unglück gerufen werden“, weiß Weber aus seiner Arbeit für Hilfsorganisationen weltweit. Hier ginge es um das Stressmanagement und die Nachsorge nach erlebten traumatischen Erfahrungen. Selbst professionellen Helfern fiele es teilweise schwer, die Reaktionen der Betroffenen einzuordnen. Umgekehrt verstünden die Trauernden und Traumatisierten die Helfer manchmal nicht. So entstünden Missverständnisse: Worte könnten kränken, obwohl sie doch eigentlich helfen sollten.

Webers Arbeit startet oft dann, wenn die Ereignisse aus der aktuellen Berichterstattung in den Medien verschwinden und der Verarbeitungsprozess bei Betroffenen und Helfern beginnt. Weber will dazu beitragen, die jeweils andere Seite ein wenig besser zu verstehen. Dazu zählt auch die Erkenntnis, dass jeder anders trauert und Trauer seine Zeit braucht. Doch das werde in unserer Gesellschaft nicht mehr so wie bisher akzeptiert.

„Wenn jemand früher schlimme Dinge erlebt hatte, durfte er sich auch schlecht fühlen“, verglich Weber. Heute gingen die Menschen mit der Trauersituation hilflos um. „Da heißt es oft, wir schicken zehn Psychologen und dann glaubt man, alles wird wieder gut“, kritisiert Weber. Unsere Gesellschaft denke falsch. „Die Gesellschaft will so schnell wie möglich zur Normalität zurückkehren, aber die Hinterbliebenen müssen noch ihr ganzes Leben damit klarkommen.“ Das gipfele für die betroffenen Angehörigen in öffentlichen Beschuldigungen, wenn sie etwa beim Brötchenkauf im Bäckerladen von einem Bekannten zu hören bekämen: „Was sie hier betreiben ist Trauer-Terrorismus“, berichte Weber von seinem Einsatz nach dem Amoklauf in Winnenden. Nach etwa zwei Monaten erwarte unsere Gesellschaft heute einen Abschluss der Trauerzeit. Die Betroffenen bräuchten dagegen oft mehr Zeit, jemanden, der zuhört und herauskriegt, wo es weh tue. Webers Appell an die Zuhörer lautete daher: „Haben Sie Verständnis auch mit denen, die nach einem Jahr immer noch nicht klar kommen.“ Dr. Heidrun Riehl-Halen