„Wir sind hier!”

Auch sie sind hier - und wirken im Film mit: Timo, Pauline, Kristina, Melanie und Dominic. Foto: Psychiatrie-Filme

Sie leben in einem Schattenreich, isoliert, abgeschirmt und auf Verantwortung getrimmt: Kinder psychisch kranker Eltern. Obwohl sie ein zwei – bis dreimal so großes Risiko tragen, selber eine psychische Störung zu entwickeln, ist die Versorgung der geschätzt drei bis vier Millionen betroffenen Jungen und Mädchen lückenhaft. Die Dokumentarfilmerin Andrea Rothenburg hat mit dem Film „Wir sind hier!“ diesen Kindern eine Stimme gegeben. Am 28. Januar um 11 Uhr feierte er Premiere im Zeise Kino in Hamburg-Altona, wo er Anfang März ein weiteres Mal gezeigt wird.

HAMBURG (frg). Melanie ist mit 37 Jahren die älteste Protagonistin des 45-minütigen Films. In ihrer Kindheit musste sie sich um die an Depressionen erkrankte Mutter kümmern. „Wir haben Ausreden erfunden, warum wir nicht auf Klassenfahrten mitfahren konnten. Ihr war es halt wichtiger, dass wir bei ihr blieben“, sagt sie. Melanie fühlte sich wie ein Schattenkind. Die Krankheit der Mutter bestimmte ihr Leben, sie selber wurde aber mit ihren Nöten nicht wahrgenommen. Hilfe bekam sie keine: „Ich wusste nicht, an wen ich mich wenden kann.“ Pauline (9), Timo (12), Dominic (15) und Kristina (13) berichten in „Wir sind hier!“ von ähnlichen Erfahrungen. Dominic: „Da ich als kleiner Junge mehr auf meine Mutter aufgepasst habe, als sie auf mich, musste ich sehr schnell erwachsen werden und anders anfangen zu denken.“

Schon seit einigen Jahren engagiert sich Regisseurin Andrea Rothenburg für das Thema. 2016 brachte sie den Dokumentarfilm „Wo bist Du? – Kinder psychiatrieerfahrener Eltern im Fokus“ heraus. Die Idee zu ihrem neuesten Film entstand im Projekt wellengang.hamburg des Jugendhilfeträgers ALADIN, das seit 2014 Präventionsgruppen für Kinder psychisch kranker Eltern anbietet. Hier merkte man, dass es keine Filme für die therapeutische Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen gibt. „Leider gab es für die Gruppen kaum realitätsnahe, unaufgeregte und Mut machende Filme“, erklärt die Projektleiterin Louise Larbanoix. „Vielfach wurden Familienverhältnisse gezeigt, die sich nicht mit den Erfahrungen und Erlebnissen der Mehrheit der Betroffenen deckten. Der Wunsch kam auf, einen Film zu produzieren, der die Kinder unterstützt und ihnen das Gefühl gibt, dass sie nicht allein sind.“

Mit „Wir sind hier!“ will Andrea Rothenburg bundesweit an die Schulen gehen: „Das Thema gehört auf den Lehrplan, man darf es nicht tabuisieren. Oft sind die Schulen für die betroffenen Kinder der einzige Außenkontakt.“ Das Interesse von Schulen sei schon da, sie werde Lehrern auch Material an die Hand geben. „Der Film soll die Menschen ermutigen hinzugucken, Kinder besser wahrzunehmen und sie zu unterstützen“, so Rothenburg, die den Streifen auch auf Fachtagungen vorführt. Auf dem Weltkongress der Psychiatrie im Herbst 2017 in Berlin fand schon eine Voraufführung statt, und da „gab es beim Fachpublikum Tränen“. Berührend ist in der Tat, wie die Kinder mit ihrem Schicksal umgehen und die Eltern freisprechen: „Es ist nicht meine Mutter, es ist die Krankheit.“

Mit dem Kölner Rapper und Musikproduzenten David Floyd nahmen die Filmkinder einen Song auf, der sich durch den Film zieht. „Denk wie ein Erwachsener, laufe wie ein Kind, isoliert und abgeschirmt, weil Verantwortung erdrückt,“ singt etwa Kristina. Die Message: Wir sind hier und Du bist nicht alleine. „Sie empfinden selbst, dass sie zu schnell ihre Kindheit hinter sich gelassen haben und anders funktionieren mussten, als die meisten ihrer Altersgenossen“, so Andrea Rothenburg. „Durch die Dokumentation wird deutlich, wie viel Potential in den Kindern steckt und wie wichtig es ist, sie zu unterstützen, damit sie nicht selbst erkranken. Die genetischen Faktoren kann man nicht ändern, aber man kann die Umfeldbedingungen beeinflussen und durch präventive Maßnahmen die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung reduzieren.“

Auf Grund der großen Nachfrage gibt es noch eine Zusatzvorstellung im Hamburger Zeise Kino am 4. März um 11 Uhr.  Weitere Vorführungen: In Kiel (Kino in der Pumpe) am 22. und 26. Februar, jeweils um 18.30 Uhr. Ab März ist der Film auch auf DVD erhältlich.

Weitere Informationen unter http://www.psychiatrie-filme.de.Über das Projekt Wellengang informiert die Homepage https://www.wellengang-hamburg.de