„Schizotopia” in Bremen

Während der Konferenz „Schizotopia“ treffen sich Experten unterschiedlicher Disziplinen, um Potenziale im Grafikdesign auszuloten. Foto/Grafik: Laura McFarlane

Kann man Kreativität, Vielfalt und Inklusion in (Grafik-) Design und Kunst schaffen, indem man Wahnsinn akzeptiert und kultiviert? Diese Frage haben die Veranstalter von „Schizotopia” („Die Pathogenese von Schizophrenie als eine elementare kreative Kraft”) ihrer Ankündigung einer Konferenz mit Seminaren und Workshops vorangestellt, die vom 18. bis 21. Januar an der HfK Bremen
 stattfand. Mitorganisatoren waren:  HfG Karlsruhe und ENSBA Lyon, 
in Kollaboration mit der KHIO Oslo, der Gerrit Rietveld Akademie Amsterdam und der EBABX Bordeaux. 

„Viele der einflussreichsten, bahnbrechendsten und innovativsten Personen der Geschichte würden nach heutigen Diagnosen als an einer psychischen Störung wie Schizophrenie Leidende eingestuft werden. Wir bewundern Kunstikonen wie Vincent van Gogh, Edvard Munch, Virginia Wolff, Camille Claudel oder Friedrich Hölderlin – alle in das Klischee des sogenannten „verrückten Genies“ passend – genauso wie Epigonen der Mathematik und Wissenschaft wie Marie Curie, Sabina Spielrein, Georg Cantor, Alan Turing, Kurt Gödel und John Nash – die sich ebenfalls in das Spektrum der Schizotypie einordnen lassen”, heißt es in der Ankündigung weiter. Das führe zu der Erkenntnis, dass bestimmte Denker einerseits als „funktionsunfähig“ (nach dem in der bürgerlichen Gesell¬schaft formalisierten Prinzip der Normalität) kategorisiert werden, auf der anderen Seite aber eine innovative Kraft innehaben, die zu kulturellem Fortschritt oder sogar zu Paradigmenwechseln führt.

„Heutzutage, wo die Abbildungen und Analysen der menschlichen Psyche und auch unsere sozialen und politischen Tendenzen eine Hartwährung geworden sind – und sogar zur Entwick¬lung einer „künstlichen Intelligenz“ beitragen – kann der Wusch nach Kreativität und Innovation vielleicht als eine Suche nach einer neuen Art von Alchemie gesehen werden; ein neues Streben nach Unsterblichkeit. Gleichzeitig werden gesellschaftliche Werte wie Standardisierung und Normalität, die uns stillschweigend auferlegt sind, immer häufiger hinterfragt und zur öffentlichen Debatte gestellt. An dieser Stelle könnte ein faszinierendes Nebenprodukt entstehen: Wie kann man kreative und produktive Ideen aus dem Abnormalen extrahieren? Wie können Individuen mit psychiatrischen Diagnosen in die Produktions- und Innovationsprozesse einer Gesellschaft integriert werden?”

Die viertägige Konferenz „Schizotopia“ versammelte Akteure verschiedenster Disziplinen.   Neben Vorträgen aus Medizin, Philosophie, Kunstgeschichte und Design fanden praktische Workshops, Performances und Happenings statt.  „Durch die Verbindung dieser unterschiedlichen Disziplinen wollen wir eine neue Grundlage bzw. neues Potenzial für die Entwicklung eines kollektiven Prozesses im Grafik Design schaffen – pendelnd zwischen exzessiver Normalität und Disziplin, inszeniertem Chaos, Verwirrung und instinktiver Kreation”, hieß es weiter. „Eine Darstellung der dem Grafikdesign innewohnenden Dichotomie – zwischen nachvollziehbaren Strukturen und subjektivem Ausdruck – unter dem Einfluss der zugrundeliegenden Mechanismen von psychiatrischen Diagnosen und Theorie.”

„Unser Ziel ist es, dass dieser Perspektivwechsel auch eine neue Form der Kreativität mit sich bringen kann.”

Die Konferenz sollte 20 Vorträge, Fünf musikalische Performances und einen durchgängigen Workshop über vier Tage mit Lehrenden aus Bremen und den eingeladenen Institutionen enthalten. Zwischen 75 und 100 Studierende aus Bremen und den eingeladenen Institutionen wollten aktiv an der Konferenz teilnehmen, während derer auch eine Publikation und eine Schallplatte produziert werden sollten.

Die Schizo-Maschine

In dem Text: „On the Origin of the Influencing Machine in Schizophrenia“ (1919) beschreibt der Psychoanalytiker Viktor Tausk das wiederkehrende Phänomen eines mystischen maschinen- ähnlichen Mechanismus, bestehend aus typischen Attributen wie Glöckchen, Hebeln, Zahnrädern und Pfeifen, in den Akten von mit Schizophrenie diagnostizierten Patienten.
Die Maschine arbeitet als eine externe, bösartige Kontrollkraft, welche die Gedanken und das Verhalten des Patienten manipuliert und dabei dessen Verständnis immer überschreitet, sich jedoch zur gleichen Zeit immer auf dem neuesten Stand der Technologie befindet.
Die einflussnehmende Maschine kann Bilder projizieren, Gedanken pflanzen oder entfernen, motorische Phänomene wie unbeschreibbare Empfindungen und andere pathologische Prozesse entwickeln, welche zusammen die meisten der Symptome repräsentieren die mit Schizophrenie assoziiert werden.

Während Tausk, wie Freud, die Schizophrenie als ein Ego-defizit und eine Schwächung der Selbstwahrnehmung interpretierte, was symptomatisch illustriert wurde durch die einflussnehmende Maschine, die den Verstand des Patienten beeinträchtigt, wurde dieses Konzept von Gilles Deleuze und Felix Guattari in den frühen 70er Jahren umgekehrt indem die Idee des normierten Egos und Körpers als ein paranoider Wahn der Psychoanalyse und als ein Mittel zur Anpassung der gespaltenen und nomadischen Seele konstituiert wurde. Die eigentliche Krankheit sprachen Deleuze und Guattari den zugrundeliegenden Strukturen unserer Gesell¬schaft, und insbesondere dem Kapitalismus zu. Wo Tausk in der einflussnehmenden Maschine eine Metapher für die Krankheit des Geistes gefunden hatte, sahen Deleuze und Guattari eine gesellschaftliche Krankheit und die Maschine als ein Potential. Durch die von Deleuze und Guattari entwickelte Schizo-Analyse schlagen sie eine produktive Nutzung des überwundenen Egos, als einen Weg zu neuen Arten des Austausches und der Interaktion vor, wo wir, anstatt die Psyche an die Maschine anpassen und sich dieser zu unterwerfen, eine eigene Maschine baue, die mit und durch den Geist funktioniert: Die Schizo-Maschine.

Die Konferenz Schizotopia sollte sich in der Basis mit der Verbindung, Aktivierung und Dokumentation von sechs verschiedenen Maschinen im Auditorium der HfK Bremen beschäftigen. Die Aufgabe: Jede Teilnehmende Institution bringt eine Maschinenkonstruktion mit zur Konferenz. Inspiriert von Gilles Deleuze und Felix Guattaris „desiring-machines“ aus „Anti Oedipus“ ist der Begriff Maschine hierbei im weitest möglichen Sinne zu verstehen. Angetrieben durch kollektive Energie, Selbsterhaltung und Instinkt, bestehend aus einem ausführenden Teil, einem Antrieb und einem Verbindungselement zur nächsten Maschine. Um diese Verbindungen zu ermöglichen muss jede Gruppe ihren abgehenden Stecker an das Interface der nächsten Maschine anpassen. Was der eingehende Impuls für eine Wirkung auf die nächste Maschine hat, ist den Gruppen überlassen. Wobei die Maschinen während der Konferenz zum ersten Mal gemeinsam und gleichzeitig in Benutzung sein werden. Zweck der Maschinen ist es, eine andauernde Bewegung in Gang zu bringen und gleichzeitig Dokumentation zu produzieren, welche wiederum unabhängig funktionieren kann. Die wichtigste Funktion der Maschine ist jedoch die Teilnehmenden zu verbinden, indem diese den Kreislauf der Maschinen durch ihre Interaktion in Bewegung bringen. Was durch die Maschine produziert wird, funktioniert als eine notwendige Ablenkung um ihre eigentliche Funktion zu begreifen.

Weitere Informationen:  www.schizotopia.com