Kinderdemenz: erste Therapieoption

Bis zum Alter von drei Jahren scheint alles normal. Einziger Hinweis kann eine verzögerte Sprachentwicklung sein. Erst zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr treten die ersten Symptome auf: Die Kinder bekommen schwere epileptische Anfälle, die Sprache und Motorik entwickelt sich zurück. Ab dem fünften Lebensjahr können die Kinder nicht mehr sitzen oder stehen und benötigen einen Rollstuhl. Sie werden bettlägerig, erblinden und versterben in der Regel früh.

Bislang war die Medizin vergleichsweise hilflos, jetzt wurde unter UKE-Leitung die weltweit erste Therapieoption für eine Ausprägung der so genannten und bislang unheilbaren Kinderdemenz gefunden. In einer internationalen Studie haben Wissenschaftler des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) einen neuen Behandlungsansatz für die spätinfantile Neuronale Ceroid Lipofuszinose (CLN2) gefunden. Demnach kann eine Enzymersatztherapie mit Cerliponase alfa den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen. Bei rund zwei Drittel der Patientinnen und Patienten konnte der Krankheitsverlauf sogar vollständig aufgehalten werden. Das synthetisch hergestellte Enzym wird alle 14 Tage über einen Katheter direkt in den Liquorraum des Gehirns der Patienten eingebracht. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Wissenschaftler jetzt in der Fachzeitschrift New England Journal of Medicine. Das teilte die UKE-Pressestelle mit.

„Bislang stand für die Betreuung von CLN2-Patienten nur die palliative Versorgung zur Verfügung. Durch die Zulassung einer von Ärztinnen und Ärzten des UKE erforschten Enzymersatztherapie hat sich dies nun grundlegend geändert. Die Studie hat gezeigt, dass durch diese Therapie erstmalig ein Mittel gegen das rasante Fortschreiten der Krankheit entwickelt worden ist“, sagt Prof. Dr. Ania C. Muntau, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKE.

„Je früher CLN2 diagnostiziert und mit einer Therapie begonnen wird, umso höher ist die Chance für ein erfolgreiches Anschlagen der Therapie, damit die erkrankten Kinder länger sprechen und sich eigenständig bewegen können. Doch die Erkrankung wird oft zu spät erkannt, weil sie sehr selten ist. Ich würde mir daher wünschen, dass es in Deutschland bald möglich ist, dass alle Kinder im Rahmen des Neugeborenenscreenings auf CLN2 getestet werden“, so Dr. Angela Schulz, Leiterin der internationalen Studie sowie der Sprechstunde für Degenerative Gehirnkrankheiten (Schwerpunkt „Kinderdemenz NCL“) der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des UKE.

Die Neuronale Ceroid Lipofuszinose (NCL) zählt zu den seltenen Erkrankungen. Als eine der häufigsten Formen tritt der Subtyp CLN2 auf, bei dem das Enzym Tripeptidyl-Peptidase-1 (TPP1) nicht oder nicht ausreichend gebildet wird. Dadurch lagert sich in den Gehirnzellen das wachsartige Speichermaterial Ceroid Lipofuscin ab, die Gehirnzellen verlieren zunächst ihre Funktion und sterben schließlich ab.

Im Rahmen der internationalen, multizentrischen Studie haben 24 CLN2-Patienten im Alter von drei bis acht Jahren über mindestens 96 Wochen alle 14 Tage eine Enzymersatztherapie mit Cerliponase alfa erhalten. Die Wissenschaftler in den Studienzentren in Hamburg, London, Rom und Columbus (USA) haben den Verlauf der motorischen Funktionen sowie der Sprache mit Hilfe eines Punktesystems erfasst und den Krankheitsverlauf mit 42 historischen Patienten, die keine Behandlung mit der Enzymersatztherapie erhalten hatten, verglichen.