GroKo will Wahlverbot kippen

Auch die Belange von Menschen mit Behinderungen sind in den Koalitionsvertrag eingeflossen, den CDU, CSU und SPD ausgehandelt haben. So sollen die umstrittenen Wahlrechtsausschlüsse für Menschen mit Behinderungen, die in allen Angelegenheiten betreut werden, abgeschafft werden. Die – derzeit geschäftsführende – Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Verena Bentele, begrüßte ferner die Aufnahme der Punkte verbesserter Zugang zu den Bundesfreiwilligendiensten und  Gewaltschutz von Frauen und Kindern mit Behinderungen in den Vertrag. Als weitere Ansätze für Verbesserungen nennt sie:  „Die Verstetigung des KfW-Zuschussprogramms für den altersgerechten Umbau von Wohnraum, die angedachte Erhöhung des Pauschbetrages, damit alle Steuerpflichtigen mit Behinderungen für ihre zusätzlichen Aufwendungen eine angemessene Entlastung erfahren und die Weiterführung der Finanzierung der unabhängigen Teilhaberberatung.”

„Jetzt sind wichtige Anliegen angesprochen“, bewertete Ulla Schmidt, MdB und Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, den Entwurf zum Koalitionsvertrag. Neben der geplanten Wahlrechtsänderung (s.o.) nannte sie an zweiter Stelle  die Reform des Betreuungsrechts mit Erhöhung der Vergütung.  Schmidt kritisierte, dass eine dringende Forderung der Lebenshilfe zur Pflegeversicherung „nur unzureichend angesprochen” werde: „Die Ungleichbehandlung von Versicherten, die in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben, muss endlich abgestellt werden”, sagte sie. „Sie erhalten statt der üblichen Pflegeleistungen nur eine geringfügige Pauschale unabhängig vom Pflegegrad – obwohl sie genauso ihre Beiträge zahlen wie andere Versicherte auch.“

Der Paritätische Wohlfahrtsverband  zeigte sich enttäuscht vom Ergebnis der Koalitionsverhandlungen und kritisierte den vorliegenden Koalitionsvertrag als „Stückwerk“ und „mutloses Weiter so“. Die großen sozialen Aufgaben würden nicht gelöst, vielmehr würde sich nach  die gesellschaftliche Spaltung durch verschiedene Maßnahmen und vor allem Unterlassungen noch vertiefen. Die angekündigten Maßnahmen im Bereich der Pflege seien viel zu wenig und nicht geeignet, den akuten Pflegenotstand zu beheben.  In der Gesundheitspolitik würden Probleme schlicht vertagt, kritisiert der Verband. Statt die Zwei-Klassen-Medizin endlich abzuschaffen, werde lediglich eine unverbindliche Kommission  eingerichtet.  Die Koalitionsvereinbarungen zur Flüchtlingspolitik kritisiert der Paritätische als „menschenrechtliche Katastrophe und humanitären Skandal“.  Das Grundproblem des ganzen Vertrages schließlich sieht der Verband in dem Verzicht auf eine solidarische Steuer- und Finanzpolitik.

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz äußerte Unmut:  „Bei vielen Themen herrscht das Prinzip Gießkanne, während große Nöte in einem Nebensatz abgehandelt werden”, sagte Vorstand Eugen Brysch der „Neuen Osnabrücker Zeitung”.  Schon jetzt würden die Kosten in der stationären Pflege um bis zu 35 Prozent steigen, und es bleibe laut dem Vertrag dabei, dass Pflegeheimbewohner die medizinische Behandlungspflege auch zukünftig aus eigener Tasche zahlen müssen. „Das sind monatlich rund 300 Euro.” Auch für die jährlich mehr als 200.000 Sterbenden mit Palliativbedarf in den Pflegeheimen vermisst Brysch konkrete Verbesserungen: „Diesen Menschen wird weiterhin ein Rechtsanspruch auf Hospizleistungen verweigert.”

 

Die Koalitionsvereinbarungen aus dem Bereich Gesundheits- und Pflegepolitik:

– Der Krankenkassenbeitrag soll wieder zu gleichen Teilen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern bezahl werden.

– Die Honorarordnung für Ärzte in der gesetzlichen Krankenversicherung soll ebenso wie die Gebührenordnung in der privaten Versicherung reformiert werden. Eine Kommission soll dafür bis 2019 Vorschläge erarbeiten. Über die Umsetzung wird danach entschieden.

– Mit einem von Kranken- und Pflegekassen finanzierten Sofortprogramm werden 8.000 neue Pflegestellen geschaffen.

– In der Altenpflege sollen Tarifverträge flächendeckend angewendet werden. Eine Ausbildungsoffensive, Anreize für die Rückkehr in Vollzeitbeschäftigung und die Weiterqualifizierung von Hilfs- zu Fachkräften sollen für mehr Pflegepersonal sorgen.

– Erwachsene Kinder sollen erst ab einem Jahreseinkommen von 100.000 Euro für die Pflege ihrer Eltern zahlen müssen.

– Krankenhäuser sollen mehr Geld für Pflegepersonal erhalten.

– Der mit dem Versorgungsstärkungsgesetz zunächst für einen Zeitraum von vier Jahren geschaffene Innovationsfonds soll über das Jahr 2019 fortgesetzt werden, die jährliche Fördersumme für innovative Projekte soll allerdings von derzeit 300 auf 200 Millionen Euro reduziert werden.

Ob diese Punkte umgesetzt werden, darüber entscheiden zwischen dem 20. Februar und dem 2. März die 463.723 Mitglieder der SPD. Mit dem Ergebnis wird nach der Auszählung bis zum 4. März gerechnet.

(hin)