Die Welt zu Gast

Auf zum CityCube auf dem Messegelände. Foto: Eichenbrenner

Gemeinsam mit der DGPPN* hatte die World Psychiatric Association (WPA) vom 8. bis 12. Oktober 2017 zum Weltkongress der Psychiatrie nach Berlin geladen. Der traditionelle DGPPN-Kongress war mutiert: Rund 10.000 Teilnehmer aus 130 Nationen, 300 Experten und 900 Veranstaltungen versprach die Presseerklärung. Ilse Eichenbrenner inspizierte das deutschsprachige Angebot des WCP – und fasste Ihre subjektiven Eindrücke von dem Mammutereignis in einem ausführlichen Bericht für den EPPENDORFER zusammen. Lesen Sie vom Beginn – und den vollständigen Text in der  Printausgabe.

Vor allem die Irrenoffensive hatte schon das ganze Jahr über zum Jagen geblasen. Der Weg von der S-Bahn zu den Messehallen war aufreibend. Begrüßt wurden die Psychiater von einem Transparent „Fake Science, real harm“. Es gab Flugblätter von diversen Betroffenen-Organisationen, man passierte Poster und Plakate in vielen Sprachen, eine Verstärkeranlage (gespeist von Solarzellen) und schließlich René Talbot von der Irrenoffensive. Ein kurzes Gespräch, bei dem er Fatalismus zeigt: Das kratze doch niemand. Chefarzt Dr. Martin Zinkler aus Heidenheim hat gerade das Mikrophon ergriffen, und spricht englisch über die Menschenrechtsverletzungen in der Psychiatrie.

Ich eile zur Eröffnungsveranstaltung in einen riesigen Saal, komplett in blaues Licht getaucht. Der noch amtierende WPA-Präsident Dinesh Bhugra macht gute Laune. Er beschreibt den Inhalt der Tagungstasche (die die Presse leider nicht erhalten hat) mit vielen Statements auf einem USB-Stick und Schmetterlingen. Diese blauen Schmetterlinge sollen wir alle weltweit verbreiten – das Symbol für Psyche, Seele, Freude. Was wünscht er uns? „Never grow up – ever have fun.“

Prof. Andreas Heinz und Prof. Peter Falkai sprechen Grußworte. Dann erhält der 92jährige Prof. Jules Angst aus Zürich den Jean Delay Preis 2017. Seine These – die bipolaren Störungen seien noch immer nicht ausreichend diagnostiziert – belegt er persönlich mit Folien seiner Untersuchungen. Und dann wird es really funny.

Der britische Psychiater Sir Simon Wessely fragt: „What do we do with a problem like Nigel? “ Der junge Arzt namens Nigel zweifelt an der Sinnhaftigkeit der Psychiatrie. Ist denn das eine echte Wissenschaft? Kümmert sie sich um echte Krankheiten? Der rasche Wechsel von verbalen und optischen Gags und Nachweisen für die enorme und wachsende Bedeutung des Fachs Psychiatrie hinterlassen ein laut lachendes und von der eigenen Disziplin restlos überzeugtes Auditorium. Dem zweifellos brillanten Referat kann man zu den Klängen der Prager Symphonie von W. A. Mozart – dargeboten vom Bayerischen Ärzteorchester – noch ein wenig nachsinnen, schmunzelnd oder grübelnd. Ich konstatiere, dass mein Verständnis der englischen Sprache zusammen mit meinem Hörvermögen offensichtlich versandet.

Auch am nächsten Morgen muss man zunächst die Kritiker passieren. Aus einer Lautsprecherbox hallt heute nicht nur der bereits vertraute Song „Freiheit, Freiheit“. Nein, Funny van Dannen singt sein Lied vom Psychiater, der sich aufgehängt hat. „Jetzt brauch‘ ich einen neuen.“ Manche schlucken. Ich verirre mich erst mal auf dem riesigen Außengelände. Wenigstens scheint die Sonne und ich bin nicht allein. Im Raum „Lindau 3“ wird das Weddinger Modell vorgestellt, das ich eigentlich bereits kenne. Interessant sind die Nachfragen aus dem Publikum. Recovery, Patientenbriefe, trialogische Arbeit scheinen ihren Weg nicht nur nach Berlin Mitte gefunden zu haben. Konsequente Begleitung in Krisen, Nachbesprechungen nach jeder Zwangsmaßnahme – alles steht und fällt mit dem Personal. „Normalisierung“ heißt das Stichwort; jedes Delikt, jede Straftat wird sofort angezeigt. Das merke ich mir für später. „Eine heftige Woche“ auf der inzwischen ziemlich berühmten Station in Berlin-Mitte hat die Journalistin Christine Holch erlebt; für ihren Bericht im Magazin chrismon (1.11.2016) wurde ihr der Preis für Wissenschaftsjournalismus der DGPPN 2017 in der Kategorie Print verliehen.

Fortsetzung folgt – in der aktuellen Druckausgabe, die am 5. November erschienen ist.

*Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN)