Die Einsamkeit der Großstädter

In Workshops wurden die Informationen vertieft. Foto: Michelle Mittmann

Ergebnisse eines Mammut-Forschungsprojekts

Eine vergleichsweise große Betreuungszufriedenheit bei Nutzern der ambulanten Sozialpsychiatrie und vor allem in Hamburg ein hohes Ausmaß an Einsamkeit – diese und weitere Ergebnisse des Forschungsprojekts BAESCAP * wurden im Dezember im Rahmen einer Fachtagung vorgestellt, die den Abschluss eines Mammutprojekts darstellte, mit dem im Rahmen von drei Teilprojekten untersucht werden sollte, wie es den Klienten der Sozialpsychiatrie geht, wie das Leben von Eingliederungshilfe-Beziehern aussieht und wie der Stellenwert von Peers ist. An der 2015 gestarteten Verbundforschung waren fünf Einrichtungen aus zwei Bundesländern beteiligt. Die Gelder dafür – 1,2 Millionen Euro – kamen aus der Hamburger Landesforschungsförderung.

HAMBURG (hin). Prof. Dieter Röh, Sprecher des Forschungsverbunds, ging einführend auf das Dach des Ganzen, den Ansatz des Capability Approach (CAP, zu deutsch: Befähigungsansatz), ein. Während die Behindertenrechtskonvention den Anspruch auf Autonomie und Selbstbestimmung in den Fokus stellt, geht es bei CAP um das gute Leben, und zwar weniger materiell gesehen, sondern eher in dem Sinne, Menschen zu befähigen, eine Wahl für das treffen zu können, was für sie einem guten Leben entspricht.

Im Teilprojekt 1 (federführend Prof. Röh) sollte der Status quo sowie die Entwicklung chronisch kranker, von der Ambulanten Sozialpsychiatrie (ASP) betreuten Menschen untersucht werden, und zwar im Vergleich zu Tagesstättenbesuchern in Mecklenburg-Vorpommern. In Hamburg wurden 383 Studienteilnehmer erfasst, von denen 122 bis zum Schluss dabei blieben. Im Nachbarland waren es 115 und 44, die bis zum Ende dabei blieben. Die Mehrheit der Befragten war männlich und zwischen 40 und 60 Jahre alt, kaum Migrationshintergrund. Eingliederungshilfeleistungen wurden im Mittel 6 1/3 Jahre bezogen, in Hamburg maximal 34 Jahre! Die Betreuungszufriedenheit, gemessen auf einer Skala von 1 bis 10, war überraschend hoch: Sie lag in Hamburg bei 8,2, in Mecklenburg-Vorpommern bei 8,1. Die gemessene Lebensqualität aber war auf dem Land höher als in der Großstadt. Bei Fragen zu Kritik oder Änderungsbedarf kam oft die Antwort: „keine“. Auf die Frage, was sich durch die ASP verändert habe, antworteten viele: nichts. Einzelne bemängelten zu wenig Einzel- betreuung o.ä., konstatierten Kooperationen bzw. Fusionen von Angeboten oder Intransparenz bezüglich der ihnen zustehenden Stunden. Der Wert soziale Inklusion lag (bei einer Skala von 1 bis 5) in Hamburg bei nur 2,7, in Mecklenburg-Vorpommern bei 2,9.

Was bedeutet die Einrichtung für die Nutzer? Hier stand bei den Antworten Rückhalt und Sicherheit ganz oben, die Hilfseinrichtung als Anker und sicherer Hafen . . . Unterschied zwischen Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern: In der Stadt war den Befragten Hilfe bei der Alltagsbewältigung, etwa bei Behördengängen, wichtiger, während den Hilfe- nutzern im Nachbarland die Strukturierung des Alltags durch Angebote der Einrichtung besonders wichtig war. Auffällig sei die Einsamkeit vieler Hamburger, berichteten Johanna Baumgardt und Gesa Meyer, die die Ergebnisse vorstellten. Für viele isoliert lebende Befragte sei die Bezugsperson der Einrichtung einziger regelmäßiger Kontakt. Die inklusiven Effekte der ambulanten Sozialpsychiatrie scheinen mager – Prof. Dieter Röh setzt hier mit seinem Antrag für ein nächstes Forschungsprojekt an: Er möchte gern in verschiedenen Stadtteilen das Konzept des aus den Niederlanden stammenden Kwartiermakens ausprobieren. Dabei wird Kontakten zwischen psychisch Kranken und Menschen aus dem Quartier quasi der Boden bereitet. Zudem werden Einzelnen so genannte Buddys zugeteilt – Freiwillige, die psychisch beeinträchtigten Menschen zur Seite gestellt werden, die diese regelmäßig besuchen mit dem Ziel, gemeinsam die Schwellen zur Außenwelt zu überwinden.

Im Teilprojekt B (federführend: Prof. Dr. Thomas Bock und Dr. Candelaria Mahlke) ging es um den Stellenwert der Peerarbeit. Bei einer Nutzerbefragung gaben zwölf Prozent an, bereits Kontakt zu Peers gehabt zu haben, meist im Rahmen offener Angebote. Hervorgehoben wurde der Vorteil der Niedrigschwelligkeit, die einfache Ansprechbarkeit der Peers – und zwar als ergänzendes Angebot, nicht als Ersatz für reguläre Mitarbeiter. Ein wichtiger Aspekt, denn Konkurrenz und Verunsicherung im Umgang kamen u.a. als Themen bei qualitativer Befragung von Mitarbeitern zum Ausdruck. Sorgen, dass Genesungsbegleiter den Aufgaben nicht gewachsen sein könnten, wurden vorzugsweise von Einrichtungen ohne Erfahrungen mit Peers geäußert und nicht von solchen, die schon mit Peers gearbeitet hatten. Überwiegend wurden Peers geringfügig beschäftigt oder waren als Praktikant im Rahmen ihrer EX-IN-Ausbildung im Einsatz. Hinsichtlich der strukturellen und finanziellen Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse gebe es Enwicklungsbedarf, so ein Fazit. Zwei Drittel der Einrichtungen hatten noch keine Erfahrungen mit Peers gemacht, von denen aber 3/4 angaben, interessiert zu sein.

Wie sich herausstellte, gibt es aber derzeit in Hamburg gar keine Genesungsbegleiter, die zur Verfügung stehen. Laut Reiner Ott vom Verein Genesungsbegleitung und Peerberatung Hamburg e. V (www.gbph.de) hinkt derzeit die Ausbildung von EX-INlern der Nachfrage hinterher.

Um die Lebenssituation von chronisch psychisch kranken Menschen im Rahmen von Eingliederungshilfe ging es schließlich im federführend von Prof. Ingmar Steinhart geleiteten Teilprojekt C. 6000 Fragebögen wurden verschickt, darauf gab es zu 31 Prozent Rückmeldungen. Am Ende standen 1900 auswertbare Bögen, so Ingmar Steinhart, der grundsätzlich bessere Daten sowie sozialpsychiatrisch ausgerichtete Forschungseinrichtungen auf Bundesländerebene forderte. Die Ergebnisse seiner Forschungen ergaben grob zusammengefasst: Mit zunehmender Institutionalisierung – wobei am Ende das Heim steht, wo jeder dritte Bewohner nicht aus freier Entscheidung lebte – sinkt die Selbstbestimmung im Alltag. Doch: Die Zufriedenheit sowie die gesundheitliche Situation war bei den Heimbewohnern höher als bei ambulant Betreuten. Sie machten auch weniger Stigmatisierungserfahrungen. Der Heimvorteil verschwinde nur, wenn die ambulante Betreuung so gut ausgestaltet ist, dass sowohl für genug soziale Unterstützung und Freizeitangebote als auch Schutz vor Stigmatisierung und gute Gesundheitsversorgung gesorgt wird.

*BAESCAP (s.a. http://www baescap.org) steht für: „Bewertung aktueller Entwicklungen der sozialpsychiatrischen Versorgung auf der Grundlage des Capabilities Approaches und der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen“.