Der Ethikstreit: Kontroverse um Arzneimitteltests an Demenzkranken

BERLIN (hin). Erlaubt sind Arzneimitteltests an nicht einwilligungsfähigen Menschen bisher nur, wenn für die Patienten davon ein persönlicher Nutzen erwartbar ist. Kritiker wie die Kirchen oder die frühere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sprechen nun im Zusammenhang mit der geplanten Neuregelung von einer Verletzung der Menschenwürde und einem Dammbruch.

Durch die geplanten Änderungen werde eine „besonders schutzwürdige Personengruppe … schwerwiegenden Gefahren und Missbrauchsrisiken ausgesetzt“, so die Kirchen in einer gemeinsamen Stellungnahme. Es drohe die Gefahr, dass diese Menschen „zum Nutzen anderer instrumentalisiert“ und „zum bloßen Objekt herabgestuft“ würden.

Soll der Gesetzgeber erlauben, dass an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen – Menschen mit Demenz oder geistigen Behinderungen – künftig Arzneimittel getestet werden, die ihnen selbst keinen eigenen Nutzen bringen? Entsprechende Pläne der Bundesregierung, die eigentlich noch vor der Sommerpause verabschiedet werden sollten, sind stark umstritten, sogar innerhalb der CDU. Dort einigte man sich schließlich auf einen Vorschlag, wonach solche Tests erlaubt werden sollen, wenn die Betroffenen vorher im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und nach ärztlicher Aufklärung pauschal zugestimmt und dies in einer eigenen Verfügung schriftlich festgehalten haben. Doch dann wurde die ethisch brisante Neuregelung, zu der zuletzt drei Alternativ-Anträge vorlagen, doch noch vertagt. Im September soll weiter beraten werden. Für eine Abstimmung wurde bereits der Fraktionszwang aufgehoben.

Was spricht für die Erlaubnis so genannter gruppennütziger Forschung? Die Deutsche Apothekerzeitung befragte dazu Prof. Wolfgang Meier, Direktor der Universitätspsychiatrie Bonn und Sprecher des Kompetenznetzes Degenerative Demenzen. Er ist Befürworter der Gesetzesänderung und verweist u.a. darauf, dass derzeit für Medikamentenzulassungen Studien aus anderen Ländern wie USA oder Litauen zugrunde gelegt würden. So geschehen bei dem einzigen Antidementivum mit der Indikation „schwere Alzheimer-Demenz“, Memantine. Das sei Doppelmoral, so Meier. Seiner Darstellung nach geht es meist um placebokontrollierte Studien. Wenn ein Patient zufällig den Wirkstoff bekommt und dieser wirkt, könne es ihm helfen. Aber er kann auch Placebo bekommen, dann habe er keinen spezifischen Vorteil. Nicht wirklich erklären konnte Meier in dem Interview, warum der Verband Forschender Arzneimittelhersteller gar keine Notwendigkeit für gruppennützige Forschung sieht und sagt, dass klinische Studien so konzipiert werden könnten, dass immer auch ein individueller Nutzen erkennbar sei.

Die DGPPN warnte indes in einem Statement vor einer überstürzten Entscheidung, unterstützt aber das Ziel, „die Forschung zur Entwicklung besserer Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten auch bei Patientengruppen zu intensivieren, deren Selbstbestimmungsfähigkeit eingeschränkt ist“. Sie warnt sogar vor einer zu engen Begrenzung. Eine Festlegung, „dass ausschließlich solche Menschen im einwilligungsunfähigen Zustand an einer Untersuchung teilnehmen können, die … vorausverfügt haben, dass sie mit der Teilnahme einverstanden sind, macht implizit jene gruppennützige Forschung unmöglich, bei der die Betroffenen keine Gelegenheit zu einer Festlegung im Vorhinein haben – entweder, weil sie nie einwilligungsfähig waren (wie bei Menschen mit geistigen Behinderungen) oder weil ihre Erkrankung plötzlich und unvermittelt ausbricht (wie bei Menschen mit psychotischen Störungen)“.

Da gehen bei dem Ex-Behindertenbeauftragten Hubert Hüppe (CDU) die Alarmlampen an: Diese Kritik zeige, dass die diskutierte gesetzliche Lockerung „ein bioethischer Türöffner“ sei für fremdnützige Forschung auch an Personen, die niemals vorher in der Lage waren, eine grundsätzliche Zustimmung zu erteilen. Und es bestätige die Befürchtung, dass der vermeintlich eng begrenzbare Tabubruch weitere Forderungen nach fremdnütziger Forschung an weiteren Gruppen von nicht einwilligungsfähigen Menschen nach sich ziehe, wie z.B. an Menschen mit sogenannten geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen.